Beiträge von Hanna Oh

    Abendlich schon rauscht der Wald

    Abendlich schon rauscht der Wald
    Aus den tiefsten Gründen,
    Droben wird der Herr nun bald
    An die Sternlein zünden.
    Wie so stille in den Schlünden,
    Abendlich nur rauscht der Wald.

    Alles geht zu seiner Ruh.
    Wald und Welt versausen,
    Schauernd hört der Wandrer zu,
    Sehnt sich recht nach Hause.
    Hier in Waldes stiller Klause,
    Herz, geh endlich auch zur Ruh.

    Das romantische Gedicht ,,Abendlich schon rauscht der Wald‘‘ wurde von Joseph von Eichendorff verfasst und thematisiert die Natur und die Sehnsucht nach Ruhe, Geborgenheit und einem Zuhause.
    Das Gedicht besteht aus zwei Sextetten. Das Metrum ist durchgängig der Trochäus, was dem Gedicht eine schwere und träge Stimmung verleiht. Das Reimschema ist ababba.
    Das lyrische Ich befindet sich während der gesamten Handlung in einem Wald. Es ist außerdem Abend. In der ersten Strophe wird der Wald beschrieben. Er gibt leise Rauschgeräusche von sich. Bald werden Sterne am Himmel zu sehen sein. In der zweiten Strophe wird ein Wanderer erwähnt, der den abendlichen Geräuschen etwas verängstigt zuhört. Wald und Welt scheinen um ihn herum zu verschwinden und Heimweh kommt im Wanderer auf. Das lyrische Ich befiehlt seinem Herzen, endlich zur Ruhe zu kommen.

    In der ersten Strophe ist der Modus der Indikativ und der Tempus das Präsens. Dies deutet daraufhin, dass die Realität beschrieben wird. Die Metapher in den Versen 3 und 4 geben der Strophe etwas kindliches, naives: Das naturwissenschaftliche Phänomen der Sterne wird religiös verbildlicht: Gott zündet an den Sternen, als wären sie Kerzen. Weiterhin findet sich in Vers 5 ein Vergleich: ,,Wie so stille…‘‘. Dieser verdeutlicht nochmal den ruhigen Charakter des Waldes am Abend. Eine sehr wichtige Auffälligkeit ist die Wiederholung des ersten Verses am Ende der Strophe, mit einem einzigen Unterschied: Statt ,,schon‘‘ sagt das lyrische Ich ,,nur.‘‘ Im ersten Vers wird also gezeigt, dass es schon Abend ist und im letzten Vers wird verdeutlicht, dass der Wald sehr ruhig ist, und ,,nur‘‘ abendlich rauscht. Diese beiden Verse werden als Rahmenverse bezeichnet, sie bilden quasi eine Klammer um das Geschehen. Durch Wörter wie abendlich, tiefsten und stille wird ein harmonisches, friedliches, aber auch geheimnisvolles Bild der Natur illustriert.

    In der zweiten Strophe wird ebenfalls durchgehend der Indikativ im Präsens verwendet. Im ersten Vers wird ,,alles‘‘ personifiziert, als wären die Natur und die Welt Menschen, die zu ihrer Ruhe gehen. Dies führt zu einer übertragenen Belebung der Natur. Durch die Alliteration ,,Wald und Welt‘‘ wird gezeigt, dass diese beiden Wörter zusammengehören. Der erste Vers der zweiten Strophe steht in Kontrast mit dem ersten Vers der ersten Strophe. Denn es wird alles ruhig, während im ersten Vers der ersten Strophe beschrieben wird, dass der Wald anfängt zu rauschen. Dass Wald und Welt aufhören zu sausen, deutet daraufhin, dass es mittlerweile Nacht geworden ist. Auch hier bilden der erste und der zweite Vers eine Klammer um das Geschehen, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Während im ersten Vers die Natur beschrieben wird, die zur Ruhe kommt, befiehlt das lyrische Ich nun seinem Herzen, zur Ruhe zu kommen.

    Durch dieses Gedicht will Eichendorff verdeutlichen, dass man in der Natur seine innere Ruhe und Einheit finden kann. Das romantische Denken entwickelte sich in einer Zeit politischer Krisen, Kriege und Umbrüche; politische Ungewissheit und die Erfahrung der Zersplitterung Deutschlands nach 1806 und 1815 waren vorherrschend, weshalb solche idealistischen Harmonieentwürfe für viele junge Intellektuelle dieser Zeit attraktiv wurden. Auch der Bezug zu Gott (in Vers 3) ist typisch vor allem für die Spätromantik. Die romantischen Dichter lehnten sich gegen das rationale Gedankengut der Aufklärung, die Gott durch den Menschenverstand ersetzt, auf. Auch das romantische Gedicht ,,Mondnacht‘‘ von Eichendorff thematisiert die Natur sowie die Sehnsucht nach einem Zuhause. In Mondnacht entfaltet sich die Seele allerdings und fliegt metaphorisch in höher gestellte Ebenen, während die Seele in ,,Abendlich schon rauscht der Wald‘‘ eher zur Ruhe kommt. Motive wie Haus, Herz, Sternlein, Ruhe und Wald sind typisch für die Romantik. Alles in allem kann man sagen, dass ,,Abendlich schon rauscht der Wald‘‘ ein typisch romantisches Gedicht ist, dass die Natur mit der Sehnsucht nach Ruhe verbindet.