So, ich habe heute eine Übung für die kommende Klassenarbeit gemacht, die Zeit gestoppt (für eine Doppelstunde ) und ich würde von euch gerne wissen, wie gut es rausgekommen ist, woran ich noch arbeiten muss, wo ich übertrieben habe/ zu weit vom Text abgekommen bin (<- oh ja, das passiert mir leider viel zu oft...) usw. ...
Könntet ihr mich dann auch eine grobe Einschätzungsnote geben? Das wäre super nett!
Ja ja, ich weißt, ein Frischling im Forum und schon will man alles korrigiert bekommen... tut mir leid... Mich würde es aber trotzdem echt ineressieren!
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Hans Sahl, „Bald hüllt Vergessenheit mich ein“
[1] Kein deutsches Wort hab ich so lang gesprochen.
[2] Ich gehe schweigend durch das fremde Land.
[3] Vom Brot der Sprache blieben nur die Brocken,
[4] Die ich verstreut in meinen Taschen fand.
[5] Verstummt sind sie, die mütterlichen Laute,
[6] die staunend ich von ihren Lippen las,
[7] Milch, Baum und Bach, die Katze, die miaute,
[8] Mond und Gestirn, das Einmaleins der Nacht.
[9] Es hat der Wald noch nie so fremd gesprochen.
[10] Kein Märchen ruft mich, keine gute Fee.
[11] Kein deutsches Wort hab ich so lang gesprochen.
[12] Bald hüllt Vergessenheit mich ein wie Schnee.
Das Gedicht von Hans Sahl „Bald hüllt Vergessenheit mich ein“ handelt von dem Leben im Exil und wie der Mensch heimatlos seine Wurzeln verliert.
Das Gedicht spricht nur von einem lyrischen Ich; man weiß, dass es in der Fremde ist und sich dort nicht wohlfühlt. Die Zeit ist nicht festgelegt, da sich sicherlich jeder so fühlen würde, wenn er fern von der Heimat ist und nicht mehr zurück kann.
In der ersten Strophe wird davon gesprochen, wie das lyrische Ich ziellos in dem neuen, ihm fremden Land, umherirrt und wie es vermisst, die Klänge seiner Muttersprache zu hören. Selbst über seine eigenen Lippen klingen die Töne dumpf und leer.
In der zweiten Strophe kann das lyrische Ich nicht einmal mehr seine eigene Sprache sprechen. Sie ist ihm so fern wie noch nie – genau wie die Heimat.
In der dritten Strophe droht das Vergessen der Sprache, das Vergessen seiner Erinnerungen, seiner Träume und Hoffnungen in dem Land seiner Vorfahren.
Im Groben kann man sogar so weit gehen und behaupten, dass es um die schrittweise Entwurzelung eines Menschen geht.
Von der Form her ist das Gedicht sehr regelmäßig und wohlklingend gestaltet, wie ein plätschernder Bach, der vor sich hinfließt. Es ist ein gleichmäßiger Kreuzreim zu erkennen, der nur an einer Stelle (Vers 6, 10) unterbrochen wird. Hier ist es ein unreiner Reim. Der Dichter möchte hiermit die Beständigkeit, das stetige Verlieren seiner Muttersprache zum Ausdruck bringen, den immer fortwährenden Prozess, der nicht aufzuhalten ist. Das Metrum ist, genauso wie das Reimschema, sehr gleichmäßig und beschränkt sich auf die gängigste Reimart: den Jambus. Jedoch gibt es auch hier zwei Abweichungen: nämlich in Vers 7 und 8. In Vers 7 („Mich, Baum und Bach, die Katze, die miaute,“) könnte man beinahe von einem Auftakt sprechen, da sich der geregelte Jambus erst wieder ab „und Bach“ bemerkbar macht. Genauso ist es in Vers 8, wo sich „Mond und Gestirn“ stark vom übrigen Rhythmusschema abheben. Vermutlich ist es hier ein Anapäst, ebenfalls voraus von einem Auftakt. Der Rest ist wieder schön gleichmäßig und fließt flüssig über das Blatt Papier.
Bemerkenswert ist außerdem noch die Anzahl der Silben, die sich in Strophe 1 und 3 schön brav abwechseln. Die zweite Strophe ist – wie in allen anderen vorherig erwähnten Interpretationsmöglichkeiten – widerspenstig und hebt sich wiederum von den anderen Strophen ab. Das drückt aus, dass das lyrische Ich gegen das Vergessen kämpft; es wehrt sich dem ewigen Lauf der Zeit und der Vergänglichkeit des Menschen – muss aber in der letzten Strophe einsehen, dass diesem Zyklus keine Macht der Welt – zumindest keine menschliche – entgegenzusetzen ist.
Der Titel wiederholt sich in einer Anapher in der letzten Zeile. Das lyrische Ich weiß sein Schicksal, das Vergessen, möchte es aber erst ganz am Ende wahrhaben, als es bereits eingetreten ist. Diese Erkenntnis umarmt das komplette Gedicht, was besonders zu merken ist, da der erste Vers und der zweitletzte Vers genau gleich sind (wieder eine Anapher).
Über die Bedeutung des Satzes „kein deutsches Wort ich so lang gesprochen.“ (hinter dem bemerkenswerter Weise jedesmal ein Punkt steht) muss ich allerdings auch noch einige Worte verlieren. Das lyrische Ich zeigt die Verzweiflung, die Angst vor dem Unumgänglichen. ES hat schon so lange diese Sprache gesprochen – dieses eine Wort – dass es durch das viele Sprechen vergessen, worum es eigentlich geht. Auch weiß man, dass dieses Wort, das er liebt und zugleich verdammt, nie ausgesprochen wird. Das lyrische Ich ist auf der Suche, aber im Meer des Vergessens ist es schon lange untergegangen – verschwunden für immer.
In Vers 3 und 4 beginnt er schon langsam seine Heimat zu verlieren. Nur einzeln kann er sich an sie erinnern, wobei der Dichter dies gekonnt bildlich mit Brotkrumen vergleicht, die er in seiner Manteltasche findet.
In Vers 7 und 8, die sich formal am meisten von allen Versen abheben, zählt er all die gewohnten Dinge auf, die ihm so vertraut sind – im anderen Land aber doch so fremd. Er erwähnt das „Gestirn“, das doch überall auf der Welt gleich ist, es aber nun aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Mit dem „Einmaleins der Nacht“ meint er all die gewohnten Eindrücke, Gerüche, Geräusche und Gefühle, die die Nacht – in seiner Heimat zumindest – ausmachen und hier, in der Fremde, fehlen.
Dies bestätigt er gleich im nächsten Vers als das lyrische Ich denkt: „Es hat der Wald noch nie so fremd gerochen.“. Es sehnt sich zurück nach Hause in die gewohnte Umgebung. Seine Fantasie ist ausgelaugt, die Füße tun ihm weh, die Reise ist schwer und lang. Er spürt nicht mehr die Magie des Ortes, das Heiligtum der Natur – dies alles will es mit Vers 10 ausdrücken.
Und dann, am Ende seiner Kräfte, lässt das lyrische Ich sich fallen. Es gibt den Kampf auf, lässt sich von der Einsamkeit und von der Vergessenheit einhüllen – Hoffnung vergebens im Exil. Denn der Schnee ist kalt und die Seele droht zu erfrieren. Mutlosigkeit und der Wunsch nach dem Tod ist das einzige, was noch übrig bleibt, von den einst so großen Träumen und Hoffnungen.
Dieses Gedicht entstand, als Hans Sahl im Exil vor der machthabenden Regierung in Deutschland floh und dann in New York lebte. Sein Gedicht handelt von seinen persönlichen Empfindungen und möchte ausdrücken, wie es wirklich ist unfreiwillig und weit weg von der Heimat zu sein. Wie langsam die Erinnerungen schwinden und nur noch kleine Bruchstücke von allem bleibt – selbst so etwas wie die Muttersprache.
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Wie gesagt, ich würde mich riesig über eine Bewertung jeglicher Art freuen (bin schon einiges gewohnt...)